Freie Ärzteschaft zur neuen GOÄ: "Die BÄK sollte den Prozess neu aufsetzen" Interview ÄND vom 24.09.2024

Die Meinungen über die neue GOÄ gehen bei den Ärzteverbänden auseinander. Während etwa der Virchowbund von einer „notwendigen und letzten Chance für eine aktuelle ärztliche Gebührenordnung“ spricht, lehnt die Freie Ärzteschaft (FÄ) das Konstrukt komplett ab. Wie begründet FÄ-Vorstandschef Wieland Dietrich seine harsche Kritik? Der änd fragte nach.

 
Herr Dietrich, Sie haben das Procedere zur GOÄ-Novellierung seit 2013 verfolgt und wiederholt kommentiert. Wie beurteilen Sie den nun vorgelegten Entwurf der BÄK?
Der Entwurf ist insgesamt untragbar. Zum einen strukturell, was die Änderung der Bundesärzteordnung angeht, zum anderen in Bezug auf die Vergütungshöhe und -struktur. In dem Punkt ist er sogar schlimmer als befürchtet. Noch vor Monaten verlautbarte Herr Reinhard, dass man es nicht unterhalb einer globalen, zweistelligen Honorarerhöhung machen würde. Nun wird eine skandalöse Basiserhöhung von 3 Prozent in Aussicht gestellt. Das ist grotesk, angesichts praktisch 28jähriger Stagnation der GOÄ seit 1996 mit über 65 Prozent Inflationsverlust.

Selbst die 3 Prozent findet sich in den einzelnen Leistungen übrigens kaum wieder. Und das maximal "erlaubte" Plus von 13,2% auf Sicht von 3 Jahren sind nichts anderers als ein künftiger Inflations- und sehr geringer Morbiditätszuwachsausgleich. Auch das ist gar keine Erhöhung! Schlimm ist unverändert, dass harte Elemente einer GKV-isierung wie ein Globalbudget über die nächsten 3 Jahre und für danach implementiert würden – dies ungeachtet des medizinischen Fortschritts und der steigenden Morbidität auch bei PKV-Versicherten. Die Ärzteschaft soll künftig das Morbiditätsrisiko tragen – das ist das schlimme GKV-Prinzip.

Das ist scharfe Kritik. Wer hat sich Ihrer Meinung nach bei den Preisen denn mehr durchgesetzt - die Ärzteschaft oder die PKV?
Herr Montgomery hatte 2013 auf Druck des damaligen Gesundheitsministers Daniel Bahr mit dem PKV-Verband die unsägliche Rahmenvereinbarung getroffen, die eine "Zwangsallianz" mit dem PKV-Verband beinhaltete. Ein Jahr später ist Herr Bahr zur Allianz Versicherung gewechselt. Bereits aufgrund dieses, ich nenne es tatsächlich "Komplotts", hätte man in der Folge die Rahmenvereinbarung kündigen müssen. Das Schlimme ist, dass auch später niemand den Mumm hatte, hier die Reißleine zu ziehen. Noch vor dem Ärztetag 2013 in Nürnberg sagte der damalige BÄK-Vize, Herr Kaplan, dass die "Einfachsätze gesteigert" werden könnten. Und es müsse auch einen Inflationsausgleich seit 1996 geben. Das ist im änd alles nachzulesen. Davon ist nun, mehr als zehn Jahre später, nach weiteren 2-stelligen Inflatonsverlusten, nichts mehr da. Wenn diese GOÄ so käme, hätten Politik und PKV-Verband der Ärzteschaft seit 28 Jahren den Inflationsausgleich versagt – und ihr zugleich das Morbiditätsrisiko aufgebürdet.

Wie beurteilen Sie denn die Bepreisungen der ärztlichen Leistungen konkret? Auch in Anbetracht der historischen Entwicklung ärztlicher Abrechnungen?
Nach den Zahlen, die ich kenne, würden auch die Gesprächs- und Untersuchungsleistungen nicht nennenswert angehoben. Und es gibt zahlreiche Leistungsausschlüsse. Einen Hausbesuch 2024 mit etwa 45,- Euro zu bewerten, ist ein starkes Stück. Dafür kommt kein Handwerker. Generell wird bei den persönlichen Arztleistungen offenbar mit maximal 126,- Euro pro Stunde kalkuliert - und das bei Praxiskosten, die oft bei 45 Prozent und mehr liegen. Damit lässt sich kein ordentliches Medizinpersonal halten. Andere Freiberufler haben deutlich geringere Kosten, und oftmals höhere Sätze.

Mit der derzeitigen GOÄ hat die Ärzteschaft in den letzten zehn Jahren einen jährlichen Mehrerlös von etwa 4,27 Prozent erzielt, natürlich auch wegen der steigenden Morbidität. Für die nächsten drei Jahre soll nun eine geringere Steigerung gedeckelt werden – bei weiter steigender Morbidität. Das ist das, was Politik und PKV-Verband sich so wünschen.

Wie beurteilen Sie den Paragraphenteil - die geplante Änderung der Bundesärztordnung?
Da stehen neben der Gemeinsamen Kommission, die in Zukunft mit den Stimmen von Beihilfe und PKV alles blockieren kann, weitere GKV-isierungselemente drin, wie Qualitätskriterien. Das hat in einer Gebührenordnung eines freien Berufes nichts zu suchen – das gehört in die Berufsordnung auf Grundlage der entsprechenden Weiterbildung, und es steht im BGB. Oder Erprobungsmodelle für Modellvorhaben. Das können Versicherungen mit ihren Versicherten selbst vereinbaren, wenn sie wollen, aber das gehört ebenfalls nicht in die GOÄ.

Ist eine Budgetierung erkennbar?
Die liegt ja offen zutage. Unabhängig der Fragen des medizinischen Fortschritts, der Inanspruchnahme und der steigenden Morbidiät der geburtenstarken Jahrgänge – sogar unabhängig von der künftigen Inflation – soll der globale Zuwachs der Arzthonorare auf 13,2 Prozent für die nächsten drei Jahre begrenzt werden. Liegt der Zuwachs höher, sollen Bewertungen abgestaffelt werden, wie im EBM. Was hat das noch mit einer Gebührenordnung für Freiberufler zu tun? Auch die Behauptung betriebswirtschaftlich kalkulierter Honorare – schon jetzt infolge der Inflationsverluste nicht mehr erkennbar – wird endgültig zur Farce.

Das Kostenproblem für die Versicherungen – dies wurde neulich auch beim Verbändegespräch sehr deutlich – liegt doch ganz woanders, nämlich bei den vielen neuen und teuren Medikamenten. Da enstehen oft Kosten von 20.000 Euro und mehr im Jahr – der Arzt bekommt im Vergleich dazu Peanuts. Und ist es nun so, dass der PKV-Verband eine maximale Kostensteigerung mit der Pharmaindustrie aushandeln würde? Ein globales Medikamentenkostenbudget? Da kämen die nie drauf, weil die Pharmaindustrie das nie mit sich machen lassen würde. Das wird schließlich über die Verträge zwischen PKV und Versicherten geregelt werden, davon gehe ich aus, und da gehört es hin.

Verteidigt die GOÄneu den freien Arztberuf?
Nein, das tut sie nicht. Weil der einzelne Arzt als Freiberufler nichts für die Entwicklung der Morbidität oder für den medizinischen Fortschritt kann, und auch nicht dafür, wie andere Kolleginnen und Kollegen abrechnen, oder wie ärztliche Inanspruchnahme durch Patienten und Bevölkerung ist. Er soll aber – und die Ärzteschaft insgesamt – für alles haften. Und er muss sogar befürchten, dass seine Qualität infrage gestellt wird, und Versicherungen im Worst Case nicht erstatten wollen.

Auch im Hinblick eines besonderen, differenzierten Leistungsaufwands im Einzelnen, worauf der Patient ja Anspruch erheben darf, und der inhärenten Möglichkeit des Arzt-Patientenvertrags nach BGB, sieht es schlecht aus, weil der Einfachsatz gilt. Das ist ein ganz kritischer Punkt, auf den auch die bayrischen Fachärzte zu Recht hingewiesen haben. Unter welchen Umständen eine Abdingung überhaupt möglich ist, unterliegt der Regelungskompetenz der GeKo. Und während bisher jeder Arzt grundsätzlich die Möglichkeit hatte, Analogbewertungen zu begründen, soll dies künftig der Geko obliegen.

Was empfehlen Sie nun der BÄK einerseits, den Verbänden und den Ärztinnen und Ärzten andererseits?
Die BÄK stellt die offene Frage, ob diese GOÄneu von der Ärzteschaft akzeptiert oder abgelehnt wird. Dann sollte sie auch offen für die Antwort sein. Ich bin für klare Ablehnung. Die liquidationsberechtigten Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, und das sind grundsätzlich alle Ärztinnen und Ärzte, kommen entgegen mancher Behauptung mit der geltenden GOÄ meist gut zurecht. Ich selbst schreibe eine deutlich 4-stellige Zahl von Rechnungen im Jahr, mit vielen Gesprächs- und Untersuchungs-, auch mit apparativen Leistungen und zahlreichen OPs. Die Quote von Fragen oder Beanstandungen liegt deutlich unter einem Prozent. Steigerungen bis 3,5fach und die Abdingung eröffnen uns Spielräume. Für Analogziffern gibt es inzwischen einen umfassenden Katalog, der auch breit akzeptiert wird, und der fortgeschrieben werden kann.

Es ist doch das Versagen des Verordnungsgebers, dass die GOÄ seit 1996 kaum aktualisiert wurde. Inzwischen sprechen manche Experten von Staatsversagen. Warum sollte die Ärzteschaft das zu ihren Ungunsten "heilen"? Dieses Staatsversagen öffnet der Ärzteschaft schließlich Türen: Es legitimiert uns nämlich, korrekt, aber kreativ und mit Steigerungen oder Abdingungen abzurechnen. Wenn abrechnungstechnisch etwas infrage gestellt wird, können wir den schwarzen Peter dahin geben, wo er hingehört: An den Verordnungsgeber.

Also: Besser eine etwas diffuse gute GOÄ als eine technisch modernisierte GOÄ, die die Ärzteschaft auf Einfachsätzen festnagelt und uns in eine Budgetierung mit Aufladung des Morbiditätsrisikos zwingt. Die BÄK sollte die Rahmenvereinbarung kündigen, und den Prozess neu aufsetzen. Das wäre kein Versagen, sondern Handeln im Sinne der Ärztinnen und Ärzte als Freiberufler und im Sinne unserer Patienten, die besonders in der PKV oder als Selbstzahler keine Einheitsmedizin wollen. Punktuelle Veränderungen der GOÄ, besonders bei den Beratungs- und Untersuchungsleistungen, sollten weiter angestrebt werden. Dass auch das alles schwierig ist, müssen wir wohl in Kauf nehmen.

24.09.2024, 14:07, Autor/-in: js

Quelle:
https://freie-aerzteschaft.de

Über die Freie Ärzteschaft e.V.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

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V. i. S. d. P: Wieland Dietrich, Freie Ärzteschaft e.V., Vorsitzender, Gervinusstraße 10, 45144 Essen, Tel.: 0201 68586090, mail@freie-aerzteschaft.de, https://freie-aerzteschaft.de

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