Nachrichten für Ambulante Operateure und Anästhesisten von
Professor Brökelmann.
+++ Offener Brief an die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
als Antwort auf ihren „Offenen Brief an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte“ +++
Sehr geehrte Frau Gesundheitsministerin,
Sie fordern in Ihrem Offenen Brief zu einem sachlich geführten Dialog auf. Deswegen möchte ich einige Ihrer Aussagen satzweise kommentieren:
Schmidt: Das Ziel des AVWG ist es nicht, Ihre ärztliche Kompetenz einzuschränken oder Ihnen gar vorzuschreiben, welche Präparate Sie verordnen sollen.
Brökelmann: Die ärztliche Kompetenz, d.h. die persönlichen, ärztlichen Fähigkeiten können durch ein Gesetz nicht eingeschränkt werden. Diese ärztliche Kompetenz hat etwas mit Ausbildung und Erfahrung zu tun.
Wenn Sie unter Kompetenz die ärztliche Zuständigkeit, bestimmte Aufgaben selbständig durchzuführen, meinen, kann der Aussage zugestimmt werden. In der Sprache der Ärzte heißt dieses, dass die Therapiefreiheit der Ärzte durch das AVWG nicht eingeschränkt werden soll. Dem widersprechen Sie jedoch selbst weiter unten in Ihrem Brief, wenn Sie schreiben, dass das AVWG dazu da ist, dass „die Ärzteschaft umfassender den Aspekt der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen muss“. Die Therapiefreiheit der Ärzte soll also doch eingeschränkt werden. Ihre Argumentation ist in sich nicht schlüssig.
S: Das Ziel des Gesetzes ist es vielmehr, dem massiven Anstieg der Arzneimittelausgaben von zuletzt 16 % bzw. 3,3 Mrd. Euro für 2005 entgegenzuwirken.
B: Das Gesetz ist also ein Sparmaßnahmen-Gesetz. Zu wessen Lasten?
S: Denn die Lasten tragen die gesetzlich Krankenversicherten und damit auch die Gesellschaft.
B: Hier machen Sie eine unzulässige Verknüpfung von Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Gesellschaft. Die GKV ist nicht die deutsche Gesellschaft. Die GKV ist als Krankenversicherung für Bedürftige konzipiert und umfasst mittlerweile ca. 90 % der Bevölkerung. Da nicht 90 % der deutschen Bevölkerung bedürftig sind, ist dieser hohe Prozentsatz verfassungswidrig, wie der Verfassungsrechtler Prof. H. Sodan schon 1998 nachgewiesen hat. Sie hätten es offensichtlich gern, dass 100 % der Gesellschaft in die GKV eingebunden sind (Einheitsversicherung). Aber dieses ist noch nicht Gesetz und wird es hoffentlich auch nie werden.
Es wäre auch verfassungswidrig, wenn Sie die Schulden der GKV auf die Allgemeinheit abwälzen wollten. Die GKV muss mit ihren Schulden selbst fertig werden.
S: Eine Fortsetzung dieser Ausgabenentwicklung liegt auch nicht im Interesse der Ärztinnen und Ärzte, weil dann z. B. Mittel für eine leistungsgerechte Honorierung fehlen.
B: Hier zeigen Sie Ihre wahren Absichten: Sie wollen mit dem AVWG eine Verknüpfung von Arzneimittelausgaben und Arzthonoraren herstellen und gesetzlich festlegen. Was haben die Arzthonorare mit den Arzneimittelausgaben zu tun? Nichts. Ebenso könnten Sie die Ausgaben der GKV mit den Honoraren der Gesundheitspolitiker oder der Chefs der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Krankenkassen verbinden.
Was Sie mit dem Gesetz versuchen, ist m. E. verfassungswidrig: Sie wollen die Grundrechte eines ganzen Berufsstandes von Freiberuflern beschränken, nur weil die GKV-Ausgaben ansteigen.
S: Mit dem Konzept (...) Bonus-Malus-Modell werden für Ärzte und Patienten Rahmenbedingungen gesetzt, an einem verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen mitzuwirken.
B: Wer beurteilt hier, was verantwortungsvoll ist? Sie, die Gesundheitsministerin? Sind denn die Ärzte allein verantwortlich für die Ressourcen der GKV?
S: Von Seiten der Ärzteschaft wurde besonders die ethische Vertretbarkeit des Gesetzes angezweifelt.
B: Dass ist richtig, denn nach unserer Berufsauffassung sollte ein Arzt keinen Profit aus der Verschreibung eines kostengünstigen Medikamentes erzielen, besonders wenn dies zu Lasten der Gesundheit der Patienten gehen könnte.
S: Diesen Vorwurf weise ich aus mehreren Gründen zurück.
Es ist nicht vertretbar, Versichertengelder unwirtschaftlich einzusetzen und Gelder für Leistungen auszugeben, die in gleicher Qualität auch günstiger zu haben sind.
B: Hier unterstellen Sie den Ärzten unwirtschaftliches Verschreibungsverhalten, ohne dies zu belegen. Das ist unseriös. Wer beurteilt, was unwirtschaftlich ist? Haben „billige“ Medikamente die gleiche Qualität wie „teure“? Ein teures Medikament kann durchaus wirtschaftlicher als ein „billiges“ sein, wenn es z. B. effektiver ist. Die Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln kann im Einzelfall nur der behandelnde Arzt beurteilen, sicher nicht die Gesundheitsministerin. Ärztliche Fachgremien können gewisse Empfehlungen aussprechen, u.a. aufgrund von evidenzbasierten Untersuchungen. Aber letztendlich muss der Arzt im Gespräch mit dem Patienten/der Patientin beurteilen, was für ihn/sie am günstigsten ist.
Ihre Aussage „Es ist nicht vertretbar, Versichertengelder unwirtschaftlich einzusetzen“ gilt für alle Beteiligten der GKV. Nur die Ärzte herauszugreifen und allein ihnen unwirtschaftliches Verordnen vorzuwerfen, ist unlauter.
S: Für das Bonus-Malus-System kommen nur einige wenige verordnungsstarke Wirkstoffgruppen in Frage, bei denen eine Wahl zwischen verschiedenen gleich guten Präparaten innerhalb der gleichen Wirkstoffgruppe besteht (...)
Die medizinische Versorgung der Patienten leidet darunter in keiner Weise.
B: Auch wenn das Bonus-Malus-System nur bei wenigen Wirkstoffgruppen in Frage kommt, geht es um das Prinzip, ob deswegen die Freiberuflichkeit der Ärzte verfassungswidrig eingeschränkt werden darf.
Im übrigen gilt auch hier wiederum: Wer beurteilt die Güte der medizinischen Versorgung? Einzig der Gesetzgeber? Dem muss widersprochen werden. In erster Linie sind es die Patienten, die über die medizinische Versorgung urteilen können und sollen.
S: Es ist im Interesse aller Beteiligten, wenn mit den vorhandenen Mitteln effizient umgegangen wird.
B: Das gilt für alle: Ärzte, Patienten, Pharmaindustrie, Gesundheitspolitiker, Hilfsmittelhersteller etc.
S: Dem verordnenden Arzt darf es nicht zu viel sein, so zu handeln wie Millionen Menschen jeden Tag handeln: sich bei gleicher Qualität für das günstigere Produkt zu entscheiden.
B: Ärzte handeln doch schon danach: Deutschland ist Weltmeister bei der Verordnung von Generika, den sog. „billigen“ Medikamenten. Der Anstieg der Arzneikosten muss deshalb andere Ursachen als das Verschreibungsverhalten der Ärzte haben.
S: Viele Ärzte tun dies bereits, aber die erneut um 15 % gestiegenen Kosten im Januar 2006 zeigen, dass Handlungsbedarf besteht und die Ärzteschaft umfassender den Aspekt der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen muss.
B: Das „muss“ zeigt an, dass die Ärzte also zu Wirtschaftlichkeit im Sinne Ihres Gesetzes AVWG gezwungen (!) werden sollen. Es ist ein Zwangsgesetz für Ärzte. Nach den Ursachen für den Arzneimittelanstieg wird nicht gesucht.
Warum setzen Sie mit dem Sparen nicht bei den Patienten an? Die Patienten sind doch mündig – oder glauben Sie das etwa nicht?
S: Bilden Sie sich Ihr Urteil über das Gesetz.
B: Hier ist mein Urteil:
Ÿ Das AVWG ist ein verzweifelter Versuch Ihrerseits, die gestiegenen Arzneimittelkosten zu senken, und das zu Lasten der Patienten und der Ärzte.
Ÿ Es greift in die Berufsfreiheit des Arztes ein, Medikamente nach bestem Wissen und Gewissen zu verschreiben, und dieses durchaus auch unter wirtschaftlichen Aspekten.
Ÿ Es zwingt die Ärzte, unethisch zu handeln, wenn sie aus Furcht vor Repressalien des Staates „billige“ Medikamente verschreiben. Warum sollen Patienten nicht zuzahlen (können), wenn sie ein bestimmtes Medikament haben wollen, das der GKV zu teuer ist?
Abschließend frage ich mich und Sie: Warum haben Sie, Frau Schmidt, die Veröffentlichung Ihres Offenen Briefes im Deutschen Ärzteblatt als Anzeige auf Kosten der Steuerzahler erzwingen wollen? Sollte dieses eine „Verordnung von oben“ für alle Ärzte sein? Hätte eine Pressemitteilung nicht den gleichen Zweck erfüllt? Für dieses Verhalten gilt Ihr obiger Satz: Es ist nicht vertretbar, Versichertengelder unwirtschaftlich einzusetzen und Gelder für Leistungen auszugeben, die in gleicher Qualität auch günstiger zu haben sind.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Jost Brökelmann
Beauftragter für Grundsatzfragen und Ehrenpräsident des BAO
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